KOMMENTARE: EU braucht keine zweite Angela Merkel | EU-Polen-Deutschland – Polnische Nachrichten | DW

Nach den Wahlen in Deutschland am 26. September, bei denen Angela Merkel nach 16 Jahren endgültig als Kanzlerin zurücktritt, verabschiedet sich die Europäische Union von ihrem dienstältesten Regierungschef.

Einfach gesagt, Merkel ist längst ein wichtiger Akteur auf EU-Ebene. Sie hat viele große Krisen in der Union erlebt und bewältigt und letztendlich dazu beigetragen, die Einheit in der EU in den entscheidendsten Stunden zu wahren.

Doch obwohl Merkel letztlich im Interesse der EU handelt, hat sie Entscheidungen oft so lange wie möglich vermieden. Nicht umsonst wurde 2015 das Verb „merkeln“ zum „Wort der Jugend“ gewählt.

16 Jahre einfach reagieren

Während Merkel eine entschiedene Verfechterin der EU-Werte ist, sind viele ihrer Entscheidungen auf EU-Ebene das Ergebnis von Verzögerungen, kurzfristigen Rückschlägen oder gar keiner anderen Option.

Das soll nicht heißen, dass sie nicht unumstritten und manchmal sogar gewagt sind. Während der Finanzkrise in der Eurozone und in Griechenland trotzte Merkel endgültig konservativen Dogmen, Parteihaushaltsdisziplin und öffentlicher Stimmung, um die griechische Regierung zu retten. Aber erst, nachdem er zunächst darauf bestanden hatte, dass ein solcher Schritt unmöglich sei, und sich so lange hinzog, bis der gesamten EU der finanzielle Zusammenbruch drohte.

Die harten Bedingungen für Griechenland und das Rettungspaket für andere angeschlagene Mittelmeerländer haben auch zu Kritik geführt, dass Merkel anderen Ländern den „deutschen Weg“ aufzwinge, was der EU-Solidarität nicht förderlich sei. Ich erinnere mich an hasserfüllte Gespräche in meiner spanischen Familie gegenüber Deutschen, die während ihres Strandurlaubs weiterhin von niedrigen Kosten in Spanien profitierten, während die Spanier Kürzungen der öffentlichen Ausgaben und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit erlebten.

Als dann 2015 Millionen syrischer Asylbewerber in Europa Zuflucht suchten, traf Merkel die politisch mutige und moralisch korrekte Entscheidung, Deutschlands Grenzen nicht zu schließen. Aber es ist immer noch eine Gegenreaktion, die erst kam, nachdem Versuche gescheitert waren, ein System zur Verteilung von Flüchtlingen in der Europäischen Union zu vereinbaren, und überforderte EU-Staaten wie Ungarn Zehn- oder Tausend Einwanderern den Weg an die deutsche Südgrenze ermöglichten.

Merkel hat vor kurzem für „Coronobonds“ gestimmt, auf EU-Ebene verteilte Schulden (ein Fluch für sie während ihrer Amtszeit als Kanzlerin) selbst angesichts der beispiellosen Konjunkturabschwächung durch die Pandemie nur nach viel Widerstand.

Als konservative Politikerin ist Merkel per definitionem auf den Erhalt des Status quo fokussiert. Er wollte keinen Schritt nach vorne machen, bis er an der Wand festgenagelt war. Aber das reicht jetzt nicht mehr.

Gesucht: eine deutsche Führungspersönlichkeit mit Vision

Die nächste deutsche Bundeskanzlerin muss eine aktive und visionäre Führung übernehmen, wenn die EU aktuellen und zukünftigen Herausforderungen gewachsen sein soll. Und auch wenn manche Deutsche aus historischen Gründen vielleicht befürchten, die treibende Kraft der europäischen Politik zu sein, muss man bedenken, dass es einen Unterschied zwischen Macht und Führung gibt und viele Europäer Berlin heute als Hauptstadt ansehen.

Zum Wohle der Europäischen Union muss Deutschlands nächste Kanzlerin jemand sein, der nicht nur im Team ist, sondern auch in der Lage ist, es zu führen. Er muss in der Lage sein, Herausforderungen zu antizipieren, anstatt chaotisch zu reagieren – und die Herausforderungen sind vielfältig.

Angesichts der Klimakrise ist es für einen politischen Weltführer keine Option, sich nicht zu trauen.

Russlands kompromisslose Haltung erfordert jemanden, der mögliche zukünftige Zusammenstöße antizipieren und vorbereiten kann, nicht jemanden, der seine Nachbarn aufgrund interner Energieinteressen und geopolitischer Wunschvorstellungen kalt lässt.

Chinas wachsender globaler Einfluss und die angespannten transatlantischen Beziehungen erfordern auch eine stärkere und unabhängigere Position der EU, unter anderem durch die Erreichung der Verteidigungsausgaben.

Vertrauen in die EU wiederherstellen

Darüber hinaus erfordern interne Spaltungen innerhalb der EU innovativere und kreativere Überlegungen zu künftigen politischen Lösungen, die vielleicht um jeden Preis von Merkels konsensbasiertem Ansatz abweichen. Nicht zuletzt wird die nächste Kanzlerin den Erfolg der EU eher verkaufen müssen, um das Vertrauen und die Freude ihrer Bürgerinnen und Bürger, insbesondere der jüngeren Generation, zurückzugewinnen.

Zu diesen skeptischen EU-Bürgern gehört übrigens auch Deutschland. Die Umfrage des Europäischen Rates zu den Außenbeziehungen vom April ergab sogar 45 Prozent. Deutschland steht der EU-Mitgliedschaft ambivalent oder schlecht gegenüber. Der nächste deutsche Bundeskanzler kann damit beginnen, die Zukunft der EU im eigenen Land aktiv mitzugestalten.

Adelmar Fabian

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