Angela Merkel geht, Russland-Probleme bestehen weiter | Deutschland | DW

In der Sonne glitzernde Metallrohre, Ingenieure überprüfen Abläufe in der Leitwarte: Die Erdgastankstelle Lubmin 2, nur wenige hundert Meter von der deutschen Ostseeküste entfernt, ist fertig. Nur russisches Gas fehlt. Hier in der Stadt Greifswald trifft die Gaspipeline Nord Stream 2 auf deutschen Boden und wird an das deutsche Stromnetz angeschlossen. Von hier aus sollte russisches Gas verteilt werden, um Reisen durch die Ukraine zu vermeiden.

Der Bau einer Landroute von der Ostsee bis zur Grenze zu Tschechien kostete rund drei Milliarden Euro. Nord Stream 2 ist eines der größten Infrastrukturprojekte in Deutschland. Diese Zahlen beunruhigen in Berlin alle, die nicht nur an Geld und Gas, sondern auch an Menschenrechte, Demokratie und Pressefreiheit denken, denn es gibt sicherlich kein besseres Beispiel für die komplexe Balance, die die deutsche Außenpolitik zwischen wirtschaftlichen Interessen, einerseits und freiheitliche demokratische Werte andererseits.

Das umstrittene Erdgasprojekt steht vor dem Hintergrund der schwierigen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland. Angesichts des Ausscheidens von Angela Merkel aus der Kanzlerin haben sich ihre möglichen Nachfolger Olaf Scholz, Armin Laschet und Annalena Baerbock während des Wahlkampfs mit diesem Thema auseinandergesetzt, wobei es eine erstaunliche Koinzidenz zweier Parteien gibt, die wenig in der Sache sind gemeinsames. : Grüne und FDP (Liberale).

Der außenpolitische Sprecher der Liberalen Partei Alexander Graf Lambsdorff kritisierte die Regierung Merkel scharf, weil sie die diplomatische Einbindung der deutschen Partner bei Gasprojekten „fahrlässig“ vernachlässigt habe. Für sie hat Merkels Argument, Nord Stream 2 sei nur ein Wirtschaftsprojekt, die Außenpolitik der Grünen stark beschädigt, und das sieht auch ihre Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Die feste Haltung der Partei gegenüber Russland hat ihr die Unterstützung selbst der konservativsten Wähler eingebracht.

Laschet, Scholz und Baerbock sind die wichtigsten Namen im Rennen um Merkel.

Unterdessen forderte der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Olaf Scholz kürzlich eine neue Ostpolitik der EU. Scholz will die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verbessern und darüber hinaus die Europäische Union insgesamt stärken. „Wir wollen nicht in die Politik des 17., 18. und 19. Jahrhunderts zurückkehren, in der die Mächte – Russland, Deutschland, Frankreich, Großbritannien – miteinander verhandelten. Stattdessen mussten es die EU und Russland sein.“

Deutsch-russische Beziehungen zu einer schlechten Zeit

Janis Kluge, Osteuropa-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, schätzt die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau am schlechtesten seit dem Untergang der Sowjetunion ein. Nach der Annexion der Krim, der Vergiftung von Nawalni und der Unterstützung für Weißrussland seien die deutschen Politiker endlich zur Besinnung gekommen und hätten Russland vor allem als strategischen Gegner gesehen, schätzt Kluge.

Der Spezialist befasst sich mit drei Problemfeldern in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Erstens die zunehmende Repression in der russischen Innenpolitik und die Verfolgung unabhängiger Medien, Nichtregierungsorganisationen und der Opposition. Der Fall Navalni ist nur das prominenteste Beispiel, aber nicht das einzige. Zweitens, sagt Kluge, Russlands Geheimdiensteinsätze in der Europäischen Union. Dabei geht es nicht nur um Angriffe, sondern auch um die Aktionen von Hackern. Und drittens der Ukraine-Konflikt, ein zentrales Thema der russisch-deutschen Beziehungen. „Solange es keine Fortschritte in der Krise gibt, ist es unmöglich, das Vertrauen in Russland wiederherzustellen“, erklärte er.

Russland als illiberale Supermacht

Auch Ralf Fücks, Direktor des Modern Liberal Center, a Denkfabrik das seine Aktivitäten in Russland hätte einstellen sollen, sah die Beziehungen zwischen den beiden Ländern an einem kritischen Punkt. „Putins Russland ist zu einem Feind der westlichen liberalen Demokratie geworden, sowohl was die Außenpolitik als auch die Sicherheit angeht. Systematische Schwächung der Demokratie, Kooperation mit rechts- und linkspopulistischen Parteien, Verletzung internationaler Gesetze und Normen, sowohl in Syrien als auch in der Ukraine. Russland steht in einer Konfrontation mit dem Westen“, sagte Fücks.

Russland unterstützt seit 2015 Bashar al-Assad in Syrien und nimmt damit eine Wendung im Bürgerkrieg des Landes.

Russland unterstützt seit 2015 Bashar al-Assad in Syrien und nimmt damit eine Wendung im Bürgerkrieg des Landes.

Die Hauptaufgabe der nächsten Regierung besteht darin, eine gemeinsame europäische Politik gegenüber Russland zu betreiben. Die drei Hauptkandidaten Deutschlands hätten nach Ansicht des Experten nicht die Aufgabe, die Beziehungen zu Putin zu verbessern, sondern „das Verhältnis von Kooperation und Konflikt neu auszurichten“. Es geht darum zu klären, wo die roten Linien für die EU und Deutschland sind. , behauptet er.

Russland nutzt die Schwäche des Westens aus

Auch Stefan Meister, Direktor des Programms für Internationale Ordnung und Demokratie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), sieht die Beziehungen schlecht. Ein Teil der Lösung liegt für ihn jedoch auch in der Verantwortung Deutschlands. „Wir müssen nur realistisch sein, den Truppen, die für ein anderes Russland kämpfen, mehr Unterstützung geben“, sagte er.

Zu Navalnis Fall erklärte Meister: „Wir dürfen uns nicht von Populisten und sozialen Netzwerken mitreißen lassen, sondern erkennen klar an, dass es in Russland nicht jetzt einen Wandel geben wird, sondern mittel- oder langfristig.“ Für ihn war Nawalni ein Populist, dessen Rolle in der russischen Politik übertrieben wurde.

Putins Regierung habe geschickt die Unfähigkeit des Westens ausgenutzt, in großen Konflikten eine Schlüsselrolle zu spielen, fügte Meister hinzu. Ob in Syrien, Libyen oder im Südkaukasus, Russland hört nicht auf, auf der internationalen Bühne zu spielen. Daher drängt er darauf, pragmatischer und weniger hysterisch zu sein und nach Möglichkeit nach Übereinstimmungen zu suchen. (dzc/chp)

Adelmar Fabian

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