Und in der Zwischenzeit hier die Migrationspolitik, die Deutschland kürzlich beschlossen hat (ohne Rücksprache mit seinen Partnern) | IFRI

Atlantico: Was sind die wesentlichen Elemente des neuen deutschen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes? Was ist der Punkt?

Jeanette Süß: Dies ist die zweite große Reform des Einwanderungssystems in Deutschland. Die Vorgängerregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte das System reformiert. Diese Reformen stehen im Jahr 2020 an, die Zeit drängt also.

Dieses neue Gesetz trägt den gleichen Namen wie das bisherige Gesetz, bringt jedoch grundlegende Änderungen hinsichtlich der Qualifikationskriterien mit sich. Es enthält zwei neue Geräte, von denen eines weltweit ziemlich bekannt ist. Dabei handelt es sich um ein Punktesystem, das direkt von den in Kanada, Australien oder Neuseeland implementierten Systemen inspiriert ist. Zweitens gibt es ein Programm für erfahrene Arbeitnehmer, d. h. Personen mit mindestens zwei Jahren Berufserfahrung, die für die Stelle relevant sind, die sie ausüben möchten.

Das bisherige Gesetz zielte darauf ab, den Einstieg ausländischer Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, ohne jedoch die Logik der in Deutschland einheitlichen Qualifikationsgleichheit zu entkräften. Nach dem neuen Gesetz ist es nicht möglich, dass erfahrene Arbeitnehmer, also Nicht-EU-Bürger, über die in Deutschland geforderten formalen Qualifikationen verfügen. Daher findet ein echter Paradigmenwechsel statt, nicht nur aus Sicht des Unternehmers, sondern auch in den Gesetzen und Vorschriften, die erlassen werden. Beispielsweise muss ein Ingenieur aus Ghana sein Diplom aus Ghana vorweisen und muss nicht mehr in allen Bereichen der Ausbildung exakt die gleichen Qualifikationen verlangen, da dies unrealistisch ist.

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Welche Auswirkungen wird dieses neue Gesetz auf die Einwanderung von Fachkräften erwarten? Wird dieses Gesetz sein Ziel erreichen?

Jeanette Süß: Das erklärte Ziel besteht eindeutig darin, den Arbeitskräftemangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt auszugleichen. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass diese Zahlen eine erhebliche Lücke zwischen dem geschätzten Bedarf und den aktuellen Zahlen darstellen. Nach Angaben des Arbeitsmarktinstituts (IAB) beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge benötigt Deutschland schätzungsweise 400.000 Fachkräfte pro Jahr, um diese Lücke zu schließen. Derzeit beträgt die Zahl der qualifizierten Einwanderer über die Arbeitsmigration rund 73.000, hinzu kommen etwa 60.000 Studierende und Auszubildende.

Es ist schwer vorherzusagen, ob dieses Gesetz diesem Bedarf zufriedenstellend Rechnung tragen wird. Die Vorsitzende des Rats für kluge Ökonomie, Monika Schnitzer, hat jedoch vorgeschlagen, dass in Wirklichkeit bis zu 1,5 Millionen Menschen pro Jahr einbezogen werden müssten, um dieses Problem anzugehen. Dies gibt einen ungefähren Eindruck vom Ausmaß der Herausforderung in absoluten Zahlen.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass es sich bei den benötigten 400.000 Arbeitskräften lediglich um Staatsangehörige eines Drittstaates handelt, während EU-Bürger zu dieser Zahl hinzukommen. Dies stellt besondere Herausforderungen an die Verwaltungsführung und die Botschaftsorganisation zur Bearbeitung von Visumanträgen und Formalitäten für Drittstaatsangehörige. Daher wird die wirksame Umsetzung dieser Vereinbarungen in hohem Maße von der Verwaltungskapazität und den verfügbaren Ressourcen abhängen.

Daher ist es wichtig zu verstehen, dass die einfache Umsetzung neuer Maßnahmen zur Erleichterung der Einwanderung nicht unbedingt deren Erfolg garantiert. Es ist von entscheidender Bedeutung, stark in die Strukturen, Infrastruktur und Dienstleistungen zu investieren, die zur Unterstützung der qualifizierten Einwanderung erforderlich sind. Dazu gehört die Schaffung einer Willkommenskultur und maßgeschneiderter Dienstleistungen sowohl für Arbeitgeber als auch für berechtigte Einwanderer. Es wird Zeit brauchen, diese Kultur und diese Dienstleistungen aufzubauen, und es ist realistisch zu hoffen, dass sich die Situation nicht bald, sondern innerhalb von 5 bis 10 Jahren verbessert.

Vor allem deutsche Unternehmen haben Schwierigkeiten, offene Stellen im mittleren und oberen Segment zu besetzen. Kann aus dieser Perspektive der Erfolg dieser Strategie in Frage gestellt werden?

Jeanette Süß: In vielen Unternehmen und verschiedenen Sektoren, beispielsweise im Gesundheitswesen, herrscht ein Arbeitskräftemangel. Beispielsweise sind Initiativen, mit neuen Wegen zu experimentieren, um weniger qualifizierten Arbeitskräften den Einstieg in das Berufsfeld zu ermöglichen, nicht immer erfolgreich. Erforderliche Qualifikationen sind nach wie vor wichtig.

Es gibt jedoch viele regulierte Berufe, bei denen die Einhaltung von Standards unerlässlich ist. Dies gilt beispielsweise für Rechtsanwälte, Notare, Apotheker oder Ingenieure. Diese Berufe erfordern formelle Verfahren und erfordern besondere Aufmerksamkeit. Auf der anderen Seite gibt es Berufe, die weniger formale Qualifikationen erfordern, etwa im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie, aber auch andere Dienstleistungsberufe wie die Gastronomie oder das Baugewerbe. In dieser Kategorie kann Berufserfahrung ebenso relevant sein wie formale Qualifikationen. Beispielsweise ist im Restaurantbereich nicht immer ein Abschluss erforderlich, wenn Sie über 10 Jahre Berufserfahrung in vielen bekannten Restaurants verfügen.

Allerdings gibt es bestimmte Kategorien, insbesondere im medizinischen Bereich, in denen ein deutlicher Mangel an Arbeitskräften herrscht. Verschärft wird dieses Problem dadurch, dass die Bevölkerung in Deutschland stärker altert als in anderen Ländern. Dies stellt eine komplexe Herausforderung dar, weshalb Deutschland ein maßgeschneidertes Programm aufgesetzt hat, um diese Lücke zu schließen. Durch gezielte Partnerschaften mit Herkunftsländern wie Vietnam und den Philippinen wurden rechtliche Regelungen getroffen, um die Ankunft von Fachkräften in Deutschland zu erleichtern und ihnen zu helfen, ihre Ausbildung nach deutschen Standards abzuschließen.

Diese Maßnahmen können das Problem nicht vollständig lösen und das Erlernen der Sprache bleibt eine große Herausforderung, insbesondere im Vergleich zu Ländern wie Kanada oder Großbritannien. Für Fachkräfte bleibt es daher ein wichtiges Thema. Insgesamt ist es notwendig, unterschiedliche Ansätze zu kombinieren, um mit dieser Situation umzugehen.

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Hat Deutschland seine europäischen Partner zu dieser Strategie konsultiert? Handelt es sich um eine einzelne Entscheidung, die in Europa zu Feindseligkeiten führen kann?

Jeanette Süß: Trotz einiger Austausche mit europäischen Ländern ist zu beachten, dass die Europäische Union keine ausschließliche oder gemeinsame Zuständigkeit für die Entscheidung über Wirtschaftseinwanderung besitzt. Es gibt bestimmte Richtlinien für bestimmte Kategorien, wie zum Beispiel die europäische Blaue Karte, aber von einer Europäisierung des Einwanderungssystems in Europa sind wir noch weit entfernt. Im Senatsbericht wurden Vergleiche zwischen den Einwanderungssystemen in Deutschland, Großbritannien, Schweden, Dänemark und Kanada angestellt.

Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass Deutschland im Vergleich zu bestimmten restriktiven Diskursen über Migration in Europa durch den Wunsch nach Offenheit und fortschrittlicherer Politik hervorsticht. Einige Länder verfolgen einen realistischeren Ansatz und berücksichtigen die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes, während andere es vorziehen, teilweise die Augen zu verschließen. Obwohl jedes Land seine eigene wirtschaftliche und demografische Situation hat, besteht in der gesamten Europäischen Union eine wachsende Tendenz, den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften in einigen Sektoren zu erkennen.

Welche europäischen Konsequenzen hat diese deutsche Entscheidung?

Jeanette Süß: Es ist möglich, dass sich andere europäische Länder irgendwann von diesem Gesetz inspirieren lassen. Es ist jedoch wichtig, die eingeführten Gesetzgebungsmechanismen zu berücksichtigen und aus den Erfahrungen einige Jahre später, beispielsweise in drei bis vier Jahren, zu lernen. Es wird einige Zeit dauern, um zu beurteilen, welche Hebel funktioniert haben und welche nicht zu den erwarteten Ergebnissen geführt haben, insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung dieser Politik. Dies ist ein innovativer Ansatz in Europa, den es in dieser Größenordnung nicht gibt.

Wichtig ist auch, darauf hinzuweisen, dass es auf europäischer Ebene eine anhaltende Debatte über ein künftiges gemeinsames Punktesystem für Migranten gibt. Auch wenn dies auf kurze Sicht möglicherweise nicht realistisch ist, könnte es interessant sein, der Europäischen Kommission diesbezüglich Ideen vorzulegen. Daher ist es wichtig, die Umsetzung dieses neuen Systems in Deutschland genau zu überwachen.

Auf europäischer Ebene werden immer mehr Migrationsabkommen und Migrationspartnerschaften vereinbart. Zum Beispiel der Pakt mit der Türkiye zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Die Idee besteht darin, ein Maßnahmenpaket zu schaffen, das auch Kanäle für die legale Einwanderung bietet. Deutschland engagiert sich intensiv in diesem Ansatz und die Zusammenarbeit mit anderen europäischen Ländern ist für den Erfolg von entscheidender Bedeutung. Daher ist es wichtig, keinen einseitigen Ansatz durchzusetzen, ohne die Besonderheiten und Interessen jedes Herkunftslandes zu berücksichtigen. Dadurch wird der Informationsaustausch zwischen den europäischen Kollegen gestärkt und ein kooperativer Ansatz gegenüber den Partnerländern bei der Steuerung der Migrationsströme gefördert.

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>> Lesen Sie die Publikation von Jeanette Süß: „ Zwischen Trägheit und Offenheit. Deutschland reformiert sein Arbeitseinwanderungssystem », Notes du Cerfa, Nr. 174, Ifri, Juli 2023.

Senta Esser

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