„Die Schwächung des Neutralitätsgedankens ist eine schlechte Nachricht“ – Befreiung

Krieg zwischen der Ukraine und RusslandFall

Das Jahr 2022 ist geprägt von Schwedens und Finnlands Bewerbung um die NATO-Mitgliedschaft, die mit einer langen Tradition der Neutralität brechen. Geschwächte Position in Europa, bedauerte die Forscherin Cyrille Bret.

Im vergangenen Jahr wurde Europas strategisches Schachbrett unter dem Einfluss des Krieges in der Ukraine neu geordnet. Eine der sichtbarsten Folgen sei die Infragestellung der strategischen Neutralität, die bisher von einigen europäischen Ländern als Schutzmaßnahme angenommen wurde, erklärte Cyrille Bret, eine mit dem Institut verbundene auf Russland und Osteuropa spezialisierte Forscherin, Jacques Delors.

Ist der Neutralitätsgedanke in Europa seit Kriegsbeginn zurückgegangen?

Der wichtigste Wendepunkt ist die Kandidatur Finnlands und Schwedens zur NATO. Diese Länder haben jeweils eine siebzigjährige bzw. zweihundertjährige Geschichte der Neutralität, die sie zerstörten, indem sie sich entschieden, einem Militärbündnis beizutreten. Dies ist ein echter strategischer Durchbruch, der nicht unterschätzt werden sollte. Es gibt auch den Ton für die Debatte über die Neutralität in Europa an. Ihre Entscheidung wirkte sich aus, die anderen neutralen Länder begannen mit ihren Überlegungen.

Erleben wir eine Evolution oder Schwächung des Neutralitätsgedankens?

Das ist eindeutig eine Schwäche. Viele Länder haben ein klares Verständnis des Konflikts in der Ukraine vermittelt, da sie der Ansicht sind, dass die Nichtmitgliedschaft des Landes in der NATO die Invasion Russlands ermöglicht hat und daher die Nichtteilnahme am Militärbündnis eine Schwäche ist. Dies ist jedoch nicht selbstverständlich. Im 20. Jahrhundert entschieden sich Länder oft für Neutralität, um nicht in Kriege verwickelt zu werden. Die Schwächung des Begriffs der strategischen Neutralität ist meines Erachtens eine schlechte Nachricht. Neutralität bietet den gesamten Grad des Engagements in den internationalen Beziehungen, während die Idee des Bündnisses binär ist. Es sollte auch daran erinnert werden, dass nicht alle Staaten, insbesondere kleine, über die Mittel verfügen, um eine engagierte Politik in diplomatischen, wirtschaftlichen oder militärischen Angelegenheiten durchzuführen.

Wird es in Europa nach dem Krieg noch Raum für Neutralität geben?

Das sind Fragen, auf die wir noch keine Antworten kennen. Der Charakter dieses Krieges mit seinen offensichtlichen Aggressoren und dem Trampeln internationaler Grenzen macht es heute in Europa sehr schwierig, die Neutralität aufrechtzuerhalten. Stattdessen stehen wir vor Säulen, die sich gegenseitig stärken. Wir müssen uns jedoch weiterhin selbst hinterfragen. Ist Neutralität eine Schwachstelle oder eine Stärke? Eine absolute Antwort gibt es meiner Meinung nach nicht.

Deckt das Konzept der Neutralität unterschiedliche Situationen ab?

Sehr. Jede Neutralität ist spezifisch und dem nationalen Kontext angemessen. Die Schweiz geniesst die stärkste und vollständigste Neutralität seit dem Pariser Vertrag von 1815, in dem alle europäischen Mächte die Unverletzlichkeit des schweizerischen Territoriums als Gegenleistung für seine immerwährende Neutralität garantierten. Für das benachbarte Österreich beispielsweise ist das anders. Die Neutralität wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von außen durchgesetzt. Es war ein Zugeständnis des Westens an Stalin, der es vermied, es in zwei Einflusszonen und dann in zwei Länder zu spalten, wie es in Deutschland geschehen war. Auch muss zwischen militärischer Neutralität und absoluter diplomatischer Neutralität unterschieden werden. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen, wie sie beispielsweise von der Schweiz verhängt werden, bricht ihren Neutralitätsstatus nicht.

Senta Esser

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