Essayist, Dichter, Kulturkritiker, Übersetzer und Herausgeber: Hans Magnus Enzensberger war einer der profiliertesten öffentlichen Intellektuellen im Nachkriegsdeutschland. Der 93-jährige deutsche Dichter, Essayist, Übersetzer und Redakteur Hans Magnus Enzensberger ist an diesem Donnerstag (24.11.) in München im Alter von 93 Jahren gestorben, wie aus einer am Freitag veröffentlichten Mitteilung des Verlags Suhrkamp mit Informationen der Familie des Schriftstellers hervorgeht. . Seit mehr als sechs Jahrzehnten beflügelt Enzensberger die internationale Literaturszene mit Werken, die nachdenklich, poetisch und höchst anspruchsvoll sind. Neben Günter Grass, Uwe Johnson, Heinrich Böll und Martin Walser gehört er zu den einflussreichsten Namen der deutschen Nachkriegsliteratur. Geboren am 11. November 1929 als Sohn eines Fernmeldetechnikers, wuchs er in der bayerischen Frankenstadt Nürnberg auf. Er ist das älteste von vier Kindern. Schon früh wagte er seine ersten literarischen Streifzüge: Sie interessierten ihn mehr als die militärische Ausbildung in der Hitlerjugend, aus der er bald wegen Fehlverhaltens ausgeschlossen wurde. 1944, im Alter von 15 Jahren, wurde Enzensberger zum nationalsozialistischen Volkssturm eingezogen, konnte aber noch vor Ende des Zweiten Weltkriegs überlaufen. „Ich hatte Glück mit meinen Eltern. Sie waren keine Widerstandskämpfer, aber auch keine Nazis. Daher hatte ich von Anfang an einen anderen Blick auf die sogenannte nationalsozialistische Volksgemeinschaft“, sagt die Autorin. 1949 stürzte er sich eifrig in die Literaturwissenschaft, studierte Sprachen und promovierte 1955 in Philosophie. Gleichzeitig veröffentlichte er seine ersten Texte und wurde wenig später in die legendäre 47. Gruppe aufgenommen. Mitglieder dieses Literaturforums trafen sich ab 1947 20 Jahre lang mit dem Ziel, die deutsche Literatur zu reformieren. Zeugnis der damaligen Debatte war ein erst 2018 veröffentlichter Briefwechsel zwischen Enzensberger und der Dichterin Ingeborg Bachmann. Ironie gegen existentialistisches Gewicht Deutschland wurde Enzensberger jedoch bald zu klein. Die Rebellion und Abenteuerlust seiner Jugendjahre trieb ihn hinaus in die Welt. Ausgedehnte Reisen in die Vereinigten Staaten, Mexiko, Norwegen und Italien sicherten ihm für den Rest seines Lebens die für ihn so wichtige Internationalität. 1957 erschien sein erster Gedichtband Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer. 1960 trat er in den renommierten Suhrkamp-Verlag ein und veröffentlichte seine erste und von der Kritik gefeierte poetische Anthologie. Fünf Jahre später gründete er die Kulturzeitschrift Kursbuch, die zu einem intellektuellen Nachschlagewerk für die revolutionären Studenten wurde, die 1968 auf die Straße gingen. Enzensberger beteiligte sich mit starker Stimme an den politischen Debatten der Zeit und prägte die öffentliche Meinung. Bereits sein erster Gedichtband erregte 1957, als er erschien, großes Aufsehen. Wie viele politisch engagierte Schriftsteller der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland gelang es dem jungen Hans Magnus Enzensberger, das Gewicht existentialistischer Lyrik der Nachkriegszeit zu erschüttern. Seine Antwort darauf waren leichte Poesie und provokative Titel wie Discount Stamps, Model Country/Assassin’s Den oder It’s Going But Not Forward. Talentsucher 1963 erhielt er den Georg-Büchner-Preis, dem weitere bedeutende Auszeichnungen folgten: Heinrich-Böll-, Deutscher Kritiker-, Ludwig-Börne- und Dänischer-Sonning-Preis. Nachdem er seinen einzigen Roman The Short Summer of Anarchy veröffentlicht hatte, ließ er sich 1979 als unabhängiger Autor in München nieder. Im folgenden Jahr stürzte er sich zusammen mit einem Freund, dem chilenischen Schriftsteller Gaston Salvatore, in ein verlegerisches Abenteuer. Das ambitionierte Literaturmagazin Trans Atlantic überlebte jedoch nicht länger als zwei Jahre. Gemeinsam mit dem Bonding-Künstler Franz Greno startete Enzensberger 1985 die Reihe „Die Andere Bibliothek“, die Titel seiner liebsten Weltliteratur enthält. Heute gilt dieser Band als wahre bibliophile Fundgrube. Mit redaktionellem Gespür für Talente hat der bayerische Autor als erster eine literarische Reportage über den deutschen Buchmarkt veröffentlicht. Als solcher ist er verantwortlich für den Erfolg des polnischen Schriftstellers und Journalisten Ryszard Kapuściński und für Prosaautoren und Dichter wie Raoul Schrott, Irene Dische, Christoph Ransmayer oder WG Sebald. Ständige Neuerfindung Nach einer langen produktiven Pause kehrte Enzensberger 1991 mit der Compilation Zukunftsmusik in die poetische Szene zurück. Er veröffentlichte auch unter Pseudonymen wie Linda Quilt (Schreckens Männer. Versuch über den radikalen Verlierer – Terrible Man. Essays on the Radical Loser) oder Serenus M. Brezengang. Als Essayist mischt er sich weiterhin in Debatten ein, kommentiert den Irakkrieg, Genforschung und umstrittene Intelligenztests. Mit Tumulto (in Brasilien beim Hoje-Verlag erschienen) veröffentlichte er 2014 seinen ersten Text mit leicht autobiografischen Zügen: „Beichten ist nicht meine Stärke Zeitschrift Der Spiegel. Bände von Enzensbergers Werk sind nicht nur unter seinem eigenen Namen, sondern auch unter Pseudonymen erschienen, allen voran Andreas Thalmayr, für den er 2018 ein Handbuch für angehende Autoren herausgegeben hat: Schreiben für ewige Anfänger. Neben Linda Quilt Ein weiteres mit ihr verbundenes Pseudonym ist weiblich: Elisabeth Ambras, das noch 2019 mit der Veröffentlichung von „Fremde Geheimnisse“ verwendet wird. Hans Magnus Enzensbergers umfangreiches Werk umfasst mehrere weitere Titel, darunter mehrere in Brasilien erschienene Titel wie Hammerstein oder das bei Companhia das Letras erschienene Eigensinnigkeits- und Langgedicht O Naufragio Do Titanic. Enzensberger ist Vater zweier Töchter, Tanaquil, geboren 1957, aus erster Ehe mit der gebürtigen Norwegerin Dagrun Kristensen, und Theresia, geboren 1986, aus dritter Ehe mit der Journalistin Katharina Bonitz. Enzensberger heiratete Ende 1960 auch die Russin Maria Makarowa. In seinem autobiografischen Aufruhr spricht er über diese Episode in seinem Leben und sagt, sie gleiche einem „russischen Roman“.
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