In den vergangenen 27 Jahren hat die Kölner Clubkneipe Lotta alle Schlüsselmomente des deutschen und des Weltfußballs erlebt. Aber diesmal war alles anders. Anstelle von Spielen sehen sich die Stammgäste Debatten an oder nehmen an Quizfragen teil. Das Unternehmen boykottierte wie Hunderte andere in Deutschland die WM in Katar.
Peter Zimmermann ist begeisterter Fußballfan und Mitinhaber der Kneipe Lotta. Seit mehr als zwanzig Jahren kauft er Dauerkarten für die Spiele des Heimvereins „Effzeh“, wie die Einheimischen den Verein des FC Köln nennen. Trotzdem beschloss er, die beiden großen Fernsehbildschirme in der Bar für die nächsten vier Wochen auszuschalten. Die Fußballmeisterschaft in Katar, wo die deutsche Nationalmannschaft zu den Favoriten zählt, wird nicht starten.
„Wir wollen ein Zeichen setzen gegen das total korrupte Fifa-System, wo nur Geld zählt und sich niemand um Menschenrechte oder Fußballkultur kümmert“, erklärte er. Bahnhof Deutsche Welle. „Frauenunterdrückung, Diskriminierung von Homosexuellen und unwürdige Arbeitsbedingungen“, nannte der gebürtige Kölner, warum Katar die WM nicht ausrichten sollte.
Auch in Hamburg bleiben viele Fernseher in Fußballkneipen ausgeschaltet. | Foto: CTK
Am Sonntag startet die Meisterschaft in dem arabischen Land. Es war Zeuge der Eröffnungsfeier um sechs Millionen Deutschen, viele – wie Zimmermann – boykottierten das Turnier. In den sozialen Netzwerken kursieren Parolen wie #IchSchaueNicht, und der Boykott hat sogar einen eigenen Account, auf dem man zum Beispiel eine Liste aller angeschlossenen Sportkneipen findet. Es gibt bereits mehr als 200 davon.
Die Begeisterung für die alle vier Jahre ausgetragene Meisterschaft sei in diesem Jahr in Deutschland nicht aufgekommen, erklärte die Deutsche Welle. Nationalflaggen sind auf Autos nicht sichtbar, kleine Geschäfte melden sich nicht für Fußballwerbekampagnen an und selbst kleine Wetten im Büro zwischen Kollegen sind nicht sehr häufig. Da das diesjährige Turnier im Winter stattfand, gab es auch keine öffentliche Übertragung der Spiele auf Plätzen oder Parks.
Das geht aus einer aktuellen Umfrage der Agentur hervor Infrarot-Test Mehr als die Hälfte der Deutschen hat kein Spiel gesehen. Und auch die Firmen Intersport und Sport2000, die regelmäßig Meisterschafts-Souvenirs verkaufen, meldeten beim Verkauf von Fußballtrikots einen Gewinnrückgang von rund fünfzig Prozent.
Entgangener Gewinn
Je näher die WM in Katar rückte, desto mehr sei ihm klar geworden, dass er sie nicht unterstützen wolle, fügte der Kölner Kneipenbesitzer Peter Zimmermann hinzu. „Im April haben wir unseren Boykott öffentlich angekündigt und die ersten Reaktionen waren recht positiv, obwohl wir damals noch in der Minderheit waren“, erklärte er.
Am Montag bot Zimmermanns Firma den Gästen ein Gespräch über die Situation bei Qatar Film, ein Dart- und Kickerturnier, oder Fußballspielen auf der Playstation ist für die nächsten Tage geplant. Die Eigentümer erwarten auch niedrigere Gewinne, da die Übertragung von Fußballspielen sowohl neue Kunden als auch Stammkunden anzieht. Aber manchmal, sagt er, bekomme er E-Mails, in denen ihm gesagt wird, er sei ein Heuchler gewesen, als er die Kneipe mit Gas aus Katar geheizt habe. Trotzdem hat er seine Entscheidung nicht bereut.
„Ich bin überrascht, wie sich die Proteste in den letzten Wochen ausgebreitet haben, vor allem unter Bundesliga-Fans in den letzten drei Spielen“, sagte Dietrich Schulze Marmeling, Fußballexperte und Initiator des Katar-Boykotts. Im November protestierten Fans in Stadien in Deutschland heftig gegen die Meisterschaft und riefen zum Boykott auf.
Der Kampf um das Regenbogenband
Laut Schulz Marmeling ist der Widerstand gegen die Fifa in Deutschland in den letzten Jahren gewachsen. „Für viele Menschen war Katar 2018 noch schlimmer als Russland. Die Leute sagen zumindest, dass es ein großes Land ist, in dem der Fußball gewisse Traditionen hat. Aber Katar mit ein paar hunderttausend Einwohnern ist völliger Unsinn.“
Durch die Durchführung von Meisterschaften in arabischen Ländern stimme nicht zu auch sechs von zehn Briten und 39 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass die Nationalmannschaft nicht am Turnier teilnehmen sollte. Inselfans müssen sich jedoch noch für einen ähnlichen Boykott entscheiden. Im Gegensatz dazu haben die französische und die spanische Regierung versprochen, nirgendwo öffentlich Spiele zu zeigen, und in Norwegen gibt es eine Kampagne, die zum totalen Boykott aufruft.
Deutschland erwischte keinen guten Start in die Meisterschaft und verlor am Mittwoch überraschend mit 1:2 gegen Außenseiter Japan. Die Abgeordneten sangen zu Beginn des Spiels nicht die Nationalhymne und hielten sich beim Fotografieren die Hände vor den Mund. Sie protestierten gegen die Entscheidung der FIFA, Kapitänen das Tragen von Armbändern mit der Regenbogenfahne und dem Slogan One Love zur Unterstützung von LGBTQ+-Personen zu verbieten. Der Deutsche Fußball-Bund auch sind am Planen den Schritt der FIFA mit rechtlichen Mitteln zu verteidigen.
Viele Deutsche werden jedoch weiterhin die umstrittene Meisterschaft verfolgen, insbesondere die Spiele ihrer Nationalmannschaft. „Ich werde mir nicht wie bisher alle Spiele anschauen, Profifußball ist mir zu weit weg.“ erklären für den Bayerischen Rundfunk, Journalist Michael Bartle. Ganz hassen kann er die Meisterschaft jedoch nicht, denn Fußball ist die Liebe seines Lebens.
Video: Sport und Politik lassen sich nicht mehr vermischen, sagt Kommentator Jaromír Bosák (23.11.2022)
„Heute ist es nicht mehr möglich, Politik nicht mit Sport zu vermischen. Der Eindruck, dass die Meisterschaft den Namen des gesamten Fußballs befleckt“, sagt Sportkommentator Jaromír Bosák | Video: Daniela Drtinová
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