Kaliningrad, das neue Tor nach Europa?

Moskau kann seine territoriale Exklave im Herzen Europas nutzen, um Migranten die Durchreise in die Europäische Union zu erleichtern.

Die russische Enklave Kaliningrad, eingeklemmt zwischen Litauen und Polen an der Ostsee, könnte ein neues Transitziel für Migranten werden, die die Europäische Union (EU) erreichen wollen.

Im vergangenen Oktober öffnete Russland im Rahmen seiner Politik des „offenen Himmels“ den Flughafen von Kaliningrad für ausländische Fluggesellschaften. Aber diese Entscheidung hat Polen beunruhigt, dass Moskau versucht, seine Enklave zu nutzen, um die Durchreise von Migranten aus Asien und Afrika in die EU zu erleichtern. Im November kündigte Warschau den Bau einer mehr als zwei Meter hohen Mauer entlang seiner Grenze zu Russland an.

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Nach Angaben der polnischen Behörden gab es im Oktober keine direkte illegale Einreise aus Kaliningrad. Aber eine aktuelle Untersuchung des deutschen öffentlich-rechtlichen Senders SWR ergab, dass Schmuggler Migranten aus dem Nahen Osten geholfen hatten, russische Visa zu bekommen, damit sie dieses winzige russische Territorium erreichen konnten.

Wie das Auswärtige Amt gegenüber dem SWR bestätigte, überqueren zudem weiterhin Migranten aus Russland Weißrussland, um in die EU einzureisen. „Seit einigen Monaten beobachten die Bundesregierung und ihre EU-Partner eine Zunahme illegaler Migrationsbewegungen durch Russland. Lettland, Litauen und Polen haben Fälle von illegalen Einreisen aus Weißrussland mit russischen Visa in ihren Pässen gemeldet.“

Irakische Migranten auf dem nationalen Flughafen in Minsk, Weißrussland, 25. November 2021. Quelle: EPA/RAMIL NASIBULIN

Amputationen und Frakturen

Seit letztem Jahr hat die Einreise durch Weißrussland zur Einreise in die EU laut IOM, der Migrationsagentur der Vereinten Nationen, mindestens 21 Menschen das Leben gekostet.

In den letzten Wochen mussten aufgrund der eisigen Kälte mehreren Menschen Gliedmaßen amputiert werden, nachdem sie von ihren Schmugglern ausgesetzt worden waren.

Zudem führen Stahlbarrieren und Stacheldraht, die von den europäischen Nachbarn Weißrusslands entlang ihrer Grenzen errichtet wurden, regelmäßig zu schweren Verletzungen durch Stürze.

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Ärztin Paulina Bovnik arbeitet mit Migranten in dieser Region. Im Winter kümmert er sich hauptsächlich um Fälle von Unterkühlung und Mangelernährung.

Seit dem Bau der Mauer an der polnischen Grenze habe er zudem vermehrt Beinbrüche und Kopfverletzungen gesehen. Auch viele Migranten aus Weißrussland scheinen Gewalt erlebt zu haben.

Unterdessen sollen Schmuggler im Nordirak weiterhin Migranten davon überzeugen, dass ein One-Way-Ticket über Russland nach Europa nur 2.500 Dollar kostet. „Wenn Ihre Papiere da sind, brauchen Sie zehn Tage, um von Moskau nach Deutschland zu kommen“, sagte ein Schmuggler dem Sender SWR. Er sagte, die Route über Kaliningrad sei teurer, etwa 14.500 Dollar, um die Kosten für Bestechungsgelder an die russischen Behörden zu decken.

Das Warten in den Wäldern an der Grenze zu Polen und Weißrussland ist gefährlich, insbesondere für die Gesundheit von Kindern.  Bildnachweis: Leonid Shcheglov/Belta/AFP/REUTERS
Das Warten in den Wäldern an der Grenze zu Polen und Weißrussland ist gefährlich, insbesondere für die Gesundheit von Kindern. Bildnachweis: Leonid Shcheglov/Belta/AFP/REUTERS

„Sie sagen uns nicht die Wahrheit“

SWR-Journalisten gelang es, mit einem syrischen Migranten, Aras (Name geändert), zu sprechen, der aus dem Nordirak über Moskau und Weißrussland nach Europa geflohen war.

Die Schmuggler versprechen eine reibungslose Fahrt. Jetzt sitzt Aras in Minsk fest. „Wir wussten nicht, was wir tun sollten. Sie haben uns nicht die Wahrheit gesagt. Sie sagten uns, wir sollten zwei Stunden laufen. Am Ende sind wir 20 Stunden gelaufen“, erklärte er in einem Videoanruf.

Laut einer SWR-Umfrage bieten Schleuser in den sozialen Netzwerken Migranten, die mehr „Klienten“ anwerben, sogar vergünstigte Tarife an. Eine anonyme Quelle stellte fest, dass auf der Messaging-App Telegram Videos von Migranten kursieren, die ihr Ziel erfolgreich erreichen. Das Auswärtige Amt verwies auch auf das Vorhandensein von Anzeigen im Netz für Routen nach Europa über Russland und Weißrussland.

Kai-Olaf Lang, Osteuropa-Experte der Deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik, glaubt, dass Russland Visa an Migranten aus dem Nahen Osten vergibt, um Druck auf EU- und Nato-Staaten auszuüben. „Und jetzt sehen wir, dass Kaliningrad der Nato ein Dorn im Auge werden kann“, sagte der Experte dem SWR. „Ich denke, die zugrunde liegende Absicht ist es, Instabilität in diesen Ländern zu erzeugen.“

Senta Esser

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