130 Jahre schwarze Familien in Deutschland

Bis vor Kurzem war es für viele Menschen ein Paradox, schwarz und deutsch zu sein. Die Geschichte der Familie Dieks beginnt im Jahr 1891 mit einem jungen Mann aus Kamerun, durch Kolonialismus und Nationalsozialismus. Nachkommen von Abenaa Adomako beanspruchen Anerkennung. Der Saal war voll, wer keinen Platz fand, lehnte an der Wand oder vor der Tür. Der Zuschauer nimmt Abenaa Adomakos Familiengeschichte und ihre klare Botschaft aufmerksam auf.

Seit dem Kolonialismus des 19. Jahrhunderts kämpfen schwarze Deutsche für ihre Rechte: Verfolgte von den Nazis, unsichtbar im Nachkriegsland, selbstbewusst im heutigen Berlin. An der rätselhaften Frage führt kein Weg vorbei: Wie ist es möglich, dass die Nachkommen der Familie Diek, die seit 130 Jahren in Deutschland leben, bis heute um Anerkennung kämpfen müssen?

„Wir haben alle die gleiche Schwäche, sowohl Schwarze als auch Weiße: Wir fangen alle von vorne an. Auf der dunklen Seite vertiefen wir uns in die Geschichte, jetzt sind wir verbunden“, erklärte Adomako.

Mit seinem Bruder Roy und in enger Zusammenarbeit mit dem Kuratorenteam des Schöneberg-Museums in Berlin stellte er seine ganz persönliche Familienausstellung zusammen: Auf den Spuren der Familie Diek. Geschichten Schwarzer Menschen in Tempelhof-Schöneberg.

Erste Generation: Migranten aus afrikanischen Kolonien

„Wenn ich Ihnen erzähle, dass unsere Großmütter uns Königsberger Klopse oder Senfeier gemacht haben [almôndegas de Königsberg, ovos com molho de mostarda, ambos pratos ultratradicionais alemães]„Es sorgt immer noch für Erstaunen“, kommentierte Adomako ruhig und gelassen. Er sei es seit langem gewohnt, seine Herkunft zu erklären, ohne sich rechtfertigen zu müssen: Seine Familie sei seit fünf Generationen in Deutschland ansässig.

Die Geschichte der Familie Dieks beginnt mit dem jungen Mandenga, der 1891 aus Kamerun ankam und eine Ausbildung zum Schuhmacher absolvierte. Da Schwarze in der Kolonialzeit als „exotisch“ galten, ließen ihn seine Arbeitgeber in Schaufenstern ausstellen. Nach seinem Rücktritt machte er sich als Kaufmann selbstständig und heiratete in Danzig (heute Danzig, Polen) ein zweites Mal die aus Ostpreußen stammende Emilie.

Mandenga Diek eröffnete einen „Kolonialwarenladen“, der sogar den Bedarf des kaiserlichen Hofes deckte. Er ist ein angesehener und angesehener Bürger der Stadt, seine Töchter Erika und Doris besuchen ein privates Gymnasium. Doch dann übernahmen die Nazis die Macht.

2. Generation: Afrodeutsche im Nationalsozialismus

Nach der geltenden nationalsozialistischen Rassenlehre war Mädchen der Zutritt zu höheren Bildungseinrichtungen verboten. Nachbarn beleidigen die Familie, Kinder können ihre Kindheitsfreunde nicht mehr sehen. Das Regime entzog Dieks die Pässe: Sie lebten weiterhin in Deutschland, waren aber offiziell staatenlos.

„Meine Töchter leiden sehr unter dieser Situation. Meine Großmutter wollte Ärztin werden, aber jetzt bricht alles zusammen“, sagte Adomako. Der Familienvater wurde enteignet und verlor sein florierendes Geschäft. Die Familie Dieks überlebte, Mandenga starb jedoch vorzeitig an einem Herzinfarkt.

Seine älteste Tochter, Erika, bekam einen Job als Buchhalterin und wurde geduldet, während sie verdeckt im Hinterzimmer arbeitete. Die Jüngste, Doris, hatte weniger Glück: Zuerst wurde sie für harte Arbeit auf der Danziger Werft rekrutiert, dann gelang es ihr nur dank eines freundlichen Polizisten, der Zwangssterilisierung zu entgehen.

Unterhaltung als Überlebensstrategie

Die feurige Erika ist mit dem Schauspieler Louis Brody verheiratet, das Paar hat eine Tochter, Beryl, und ist nach Berlin gezogen. Brody stammt ebenfalls aus Kamerun und ist einer der wenigen schwarzen Schauspieler, die eine feste Anstellung finden. Er trat in rund 60 Filmen auf; Im Allgemeinen hatte er außerdem nur in drei Rollen eine Hauptrolle oder eine Sprechrolle. Abenaa Adomako kannte ihren Großvater nur aus dem Fernsehen.

Die Filmwelt ist ein sicherer Hafen, die Unterhaltungsbranche bietet eine der letzten Existenzmöglichkeiten. Doch während der Zeit des NS-Regimes von 1933 bis 1945 blieb Brody keine andere Wahl, als in kolonialistischen Propagandafilmen mitzuwirken. Er stellt immer wieder den „Wilden“ dar, der in das rassistische Bild „primitiver“ Afrikaner verbannt wird. Weigerte er sich, blieben als Alternative Berufsverbot oder Konzentrationslager.

Das Rückgrat der Familie sind tatsächlich Frauen. Es beginnt mit Emilie Diek, einer Ostpreußin, die ihre kamerunische Liebe nicht aufgibt und ihre Tochter mit Stolz großzieht. Sie wiederum überlebten die nationalsozialistische Verfolgung und hielten die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg mit unerschütterlicher Lebensfreude zusammen.

Für Abenaa Adomako war ihre Großmutter eine wichtige Botschafterin: „Sie empfing viele Besucher, ihr Haus war sehr lebhaft. Sie trug immer rote Nägel und High Heels. In der Nachbarschaft war sie sehr berühmt.“

3. Generation: Deutsche Leere der Nachkriegszeit

Miss Beryl ist die zukünftige Mutter von Abenaa Adomakos. Während Erika in der Weimarer Republik (1919-1933) eine vielfältigere und tolerantere Gesellschaft erlebte, wuchs ihre Tochter im Vakuum nach dem Zweiten Weltkrieg auf: „Schwarze Leben wurden kategorisch ausgelöscht. Einige wurden getötet oder sind ausgewandert. So plötzlich Da war diese schmerzhafte Lücke.“

Im Gegensatz zu seiner Mutter war Beryl ein sehr zurückhaltender Mensch: Er passte sich an und versuchte, in der Leere des Nachkriegsdeutschlands unsichtbar zu bleiben. Sie verliebte sich in einen Mann aus Ghana, beide haben Abenaa und Roy. „Meine Mama hat immer dafür gesorgt, dass wir so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erregen“, erinnert sich die Berlinerin.

4. Generation: „Wir sind viele!“

Für Abenaa wird es Jahrzehnte dauern, sich von dieser Selbstverleugnung zu befreien. Deshalb ist er in letzter Zeit so laut geworden: Mit Anfang 30 war er Mitbegründer der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD), die sich an schwarze Bürger im Land richtet. „So finden wir einen Ort, an dem wir stark sind und an dem wir Anerkennung einfordern können. Niemand kann uns ignorieren.“

Die Gemeinde musste selbst eine Geschichte der schwarzen Deutschen erstellen, die noch immer schlecht dokumentiert ist und nicht in den Schulen gelehrt wird. „Im Vergleich zu den USA oder Großbritannien steckt Deutschland beispielsweise noch in den Kinderschuhen“, urteilt Abenaa.

Während viele Afroamerikaner mit Sklavenabstammung ihre Familiengeschichten in Archiven nachverfolgen können und ihre Geschichten längst Teil des kollektiven Gedächtnisses sind, sind die Werke Deutschlands in Filmen wie Steven Spielbergs „Die Farbe Lila“ oder Steve McQueens „12 Jahre als Sklave“ immer noch grundlegend. Mangel.

5. Generation: den afrodeutschen Alltag leben

Bei dem 1992 vom Künstler Gunter Demnig ins Leben gerufenen Projekt „Stolpersteine“ erinnern kleine Gedenktafeln auf dem Bürgersteig an die Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland. Mehr als 100.000 wurden bereits vor ihren Häusern installiert, aber bisher waren nur sechs für Schwarze bestimmt.

Unter den ersten ehrten seit Anfang 2023 zwei Personen Erika Diek und Louis Brody (mit bürgerlichem Namen Ludwig M’bebe Mpessa) vor der Haustür des letzten Wohnsitzes des Paares in Berlin.

Ihre Großmutter starb 1999, bevor sie diese verspätete Anerkennung erhielt, aber für ihre Mutter Beryl war es sehr bewegend, berichtet Abenaa Adomako: „Sie weinte immer viel, wenn ich sie zu unseren Treffen mitnahm. Diese Momente wurden in ihrem Leben immer schmerzlich vermisst.“ , wo Schwarze die Möglichkeit haben, ihre Geschichten zu erzählen.“

Abenaa hat auch eine Tochter, Antonia Adomako. In der Grundschule bestand sein Lehrer darauf, ihn in den Deutsch-als-Fremdsprache-Kurs aufzunehmen, offensichtlich motiviert durch seine Hautfarbe. Mittlerweile ist er 24 Jahre alt und verfolgt seine Karriere als Künstler in London. Auch in seiner Fotografie beschäftigt er sich mit der Familiengeschichte.

Für diese fünfte Generation afrodeutscher Familien ist das Schwarzsein schon ganz anders: „Meine Tochter lebt ein entspannteres Leben als meine Generation. Auch wenn ich eher im Kampfmodus bin, erlebt sie Vielfalt, bei der bestimmte Diskussionen gar nicht erst aufkommen.“ Vordergrund.“

Im Gegensatz zu ihrer Großmutter Erika, die in Ostdeutschland geboren wurde und starb und nie in den Ländern ihrer Vorfahren war, nimmt Abenaa regelmäßig an Familientreffen in Ghana teil, wo ihr Vater geboren wurde. Mit diesem Besuch hat er seine afrodeutsche „Batterie“ wieder aufgeladen.


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Anke Krämer

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